Ich bin Christian Jonas oder Chris oder Jonas. Christian nennt mich nur meine Mutter, mit Betonung auf allen drei Silben, vor allem, wenn ich was ausgefressen habe. Ausgefressen. Ein schönes Wort. Ein schönes Wort, das ich in den letzten Jahren viel zu wenig benutzt habe. Ich habe es zu wenig benutzt, weil ich nie etwas ausgefressen habe. Ich bin immer nur gerannt. Ich bin dem nächsten Karriereschritt hinterher gerannt. Ich bin dem Geld hinterher gerannt. Ich bin vor mir selbst weggerannt. Möglichst schnell und möglichst ausdauernd. Im Jahr 2020 kam dann COVID, und auf einmal konnten wir nichts mehr ausfressen, selbst wenn wir gewollt hätten. Wir konnten auch nicht mehr rennen. Zumindest nicht mehr in die Richtungen, in die wir dachten, rennen zu müssen. Der Ist-Zustand wurde konserviert. Der Virus drückte die Pause-Taste, lange bevor die dicke Frau mit ihrem Solo auch nur angefangen hatte.
In der folgenden Zeit blieb nur die Konzentration auf das Unmittelbare, auf das zu dem man nicht hinrennen muss, da es bereits da ist. Schreiber, die weniger schwurbeln, würden es Gegenwart nennen. In dieser Zeit hat sich mir gezeigt, worauf Verlass ist und worauf nicht. Das Ergebnis: Die Rückkehr zur Langsamkeit und zum Gegenwärtigen. Weniger Rennen, mehr Sein.
Eva-Lotte, die – wie ich gerade lesen konnte – deutlich besser und fluffiger schreibt als ich, hat mit vor Augen geführt, was das heißt. Weil sie da war. Im home-schooling, im Urlaub, in Gesprächen und Gedanken – mehr als je zuvor. Ohne Lotti wäre Fridolin nur ein VW Bus. Ohne Lotti würde ich immer noch rennen.
Mir bleibt nur, dem vermaledeiten Virus jeden Tag zu danken, dass er die Pause-Taste gedrückt hat und mich Wertschätzung gelehrt hat. Er hat mich gelehrt den Wert dessen zu schätzen, was ich habe und den Wert dessen zu hinterfragen, dem ich hinterher renne.
Kein Rennen mehr.
Wir fressen wieder was aus.